Sie greifen nach einer Tube Kadmiumrot oder Ultramarinblau und vertrauen intuitiv darauf, dass sie genau die Pigmente enthält, nach denen die Farbe benannt ist. Dieses Vertrauen ist über Jahre und Jahrzehnte des persönlichen Gebrauchs gewachsen, zusammen mit der Annahme, dem beinahe blinden Glauben, dass Farben mit Sicherheit nach festen Regeln benannt werden. Außerdem, denken Sie vielleicht, sind das sehr bekannte Pigmente, die für ihre spezifischen Eigenschaften gepriesen werden und von beinahe jedem Lehrer und jedem Buch über Malerei erwähnt oder empfohlen werden. Würden Sie sich angesichts all dessen betrogen oder getäuscht fühlen, wenn Sie herausfänden, dass die Farben, die Sie gekauft haben, tatsächlich mit anderen Pigmenten hergestellt wurden? Dass das Kadmiumrot gar nicht aus Kadmiumrot besteht? Dass die spezifischen Eigenschaften, die Sie erwartet haben, wie Deckkraft oder Trockenzeit, verloren gegangen sind oder beeinträchtigt wurden? Würde Ihnen das etwas ausmachen? Wir glauben, ja, und Sie hätten vollkommen Recht.
Nun eine ebenso wichtige oder vielleicht noch wichtigere Frage: Würde es Ihnen nach wie vor etwas ausmachen, wenn diese Farbe gebrannte Siena oder Umbra Natur wäre? Oder irgendeine andere natürliche Erdfarbe? Wenn Sie jetzt zögern oder unschlüssig sind und denken, na ja, bei denen gibt es vielleicht ein wenig Spielraum, möchten wir leidenschaftlich versuchen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen. Das sind keine voneinander unabhängigen Beispiele – die Antwort auf das eine hängt direkt mit der Antwort auf das andere zusammen. Das Vertrauen zwischen Hersteller und Künstler schwindet, vielleicht nicht sofort, aber im Laufe der Zeit. Normen und Konventionen verlieren an Bedeutung oder werden völlig abgeschafft, und der Zusammenhang zwischen der Bezeichnung einer Farbe und den darin enthaltenen Pigmenten geht verloren.
Ein zunehmendes Problem
Das oben angedeutete Szenario ist in Bezug auf natürliche Eisenoxide leider nicht nur hypothetisch, es sind keine weit hergeholte Bedenken, die sich einfach wegwischen ließen, sondern etwas, was bereits hier und jetzt nur allzu häufig vorkommt. Bei mehr und mehr Farben, die mit Bezeichnungen versehen sind, die ursprünglich für natürliche Eisenoxide reserviert waren, stellt sich heraus, dass sie eine ganze Reihe synthetischer Pigmente enthalten. Manchmal werden diese Pigmente mit natürlicher Erde gemischt, doch in anderen Fällen bestehen die Farben ausschließlich aus synthetischen Pigmenten und enthalten keine Spur eines natürlichen Eisenoxids. Eine Abweichung hie und da kann man vielleicht noch tolerieren oder ignorieren, doch die Situation hat einen Punkt erreicht, an dem wir es für notwendig halten, ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen.
Das Problem hat außerdem so zugenommen, dass sich dieser Artikel nur auf einen kleinen Aspekt davon konzentriert, nämlich die Einbindung synthetischer Pigmente, die nicht auf Eisenoxid basieren. Diese sind Materialien, die keiner jemals in einer Erdfarbe erwarten würde. Ein weiterer Artikel wird sich mit dem viel größeren und komplexeren Problem beschäftigen, wie Pigmente letztlich durch Pigmenthersteller und den Farbindex klassifiziert werden, sowie mit der Verwendung synthetischer Eisenoxide in Farben, die ursprünglich aus natürlichen Eisenoxiden hergestellt wurden. So zum Beispiel die verbreitete Verwendung synthetischen transparenten roten Eisenoxids anstelle von natürlicher gebrannter Siena, oder von Marsgelb anstelle von natürlichem gelbem Ocker. Wir hoffen, den Text Anfang nächsten Jahres veröffentlichen zu können.
Ehre, wem Ehre gebührt
Bevor wir ein paar Beispiele für Farben nennen, deren Kennzeichnung problematisch ist, müssen wir auch Lob aussprechen. Viele Unternehmen etikettieren ihre Farben tatsächlich korrekt, und diese sollten in ihren Bemühungen unterstützt werden und Beifall erhalten. Außerdem wurden bei allen Tuben, die wir uns angesehen haben, sogar bei solchen kleinerer Marken, die Pigmente auf dem Etikett angegeben, und die Informationen waren allgemein auch online verfügbar. Also wurde letztlich nichts verborgen, Künstler können ganz leicht feststellen, welche Pigmente verwendet wurden, indem sie einfach die Tube umdrehen oder kurz die Website eines Händlers oder Herstellers durchsuchen. Und das muss auf jeden Fall anerkannt werden. Wenn man weit genug zurückblickt, stellt man fest, dass selbst dieses grundlegende Maß an Aufklärung nicht immer die Norm war, also ist allein das schon positiv zu sehen.
Die Beispiele
Wie bereits erwähnt, heben wir nur die eklatantesten Abweichungen von dem hervor, was man allgemein erwarten würde, wenn man natürliche und gebrannte Umbra, natürliche und gebrannte Siena oder gelben Ocker kauft. Diese Beispiele sind alle mit der Verwendung synthetischer organischer, anorganischer und komplexer anorganischer Pigmente verbunden, die definitiv nichts in einer Erdfarbe zu suchen haben. Synthetische organische Pigmente sind eine Klasse industriell hergestellter kohlenstoffbasierter Pigmente, wie die Hansa-, Quinacridon- und Phthalo-Pigmente u. Ä. Synthetische anorganische Pigmente umfassen neben jenen, die auf Eisenoxid basieren, Dinge wie Titandioxid und Zinkoxid, während komplexe anorganische Pigmente in der Regel auf gemischten Metalloxiden basieren. Bekannte Beispiele hierfür sind unter anderem Chromoxid- und Kobaltblau, doch es gibt noch eine ganze Reihe anderer mit Bezeichnungen wie Zink-Eisen-Chromit und Chrom-Antimon-Titanat.
Im Folgenden finden Sie unter der Überschrift jeder Farbe einige Hinweise dazu, wie Sie echte Versionen dieses Pigments daran erkennen, wie es auf der Tube oder in Farbtabellen aufgeführt ist, damit Sie es beim Farbkauf oder bei der Überprüfung Ihres aktuellen Bestands identifizieren können. Dem folgt eine Tabelle mit Mischungen, die andere Pigmente als natürliche und synthetische Eisenoxide verwenden.
Die von uns gesammelten Informationen stammen von den Websites und Online-Farbtabellen einfach erhältlicher Marken, einschließlich aller großen. Wir geben absichtlich nicht die Identität der jeweiligen Marke hinter der Aufzählung bekannt. In diesem Artikel geht es nicht darum, Unternehmen bloßzustellen, sondern darum, ein Bewusstsein für einen generellen Trend zu schaffen, der sich auf die Branche als Ganzes auswirkt. Noch wichtiger ist dabei, Künstler darüber aufzuklären und zu informieren, worauf sie achten müssen und warum das wichtig ist, denn letztlich sind Sie diejenigen, die etwas verändern können, indem Sie den Unternehmen gegenüber, mit denen Sie Geschäfte machen, Ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Wenn Sie sich nicht darum kümmern, tun die Unternehmen es auch nicht. So einfach ist das.
Anleitung zum Lesen der Tabellen
Für jede Farbe gibt es eine Tabelle, die die Pigmente angibt, die wir in den Inhaltsangaben der einzelnen Tuben mit Öl-, Acryl- und Aquarellfarben gefunden haben. Wenn es mehr als ein Beispiel gab, wurden die Einträge mit einem grauen Streifen voneinander getrennt. Pigmente in Rot sind diejenigen, die wir in dieser anfänglichen Übersicht hervorheben möchten.
Umbra Natur
Echte natürliche Umbra sollte als Einzelpigment mit dem Farbindexnamen PBr 7 aufgelistet sein. Sie sollte außerdem von einer chemischen Beschreibung begleitet sein, entweder auf der Tube oder in den technischen Informationen des Herstellers, und zwar als natürliches manganhaltiges Eisenoxid. Letzteres ist wichtig, da die Mangankomponente ein essenzielles Merkmal echter natürlicher Umbra ist. Da sich PBr 7 auf eine Reihe brauner Oxide beziehen kann, haben wir seine weiter gefasste und allgemeinere Beschreibung „natürliches braunes Eisenoxid“ gewählt, wo immer wir keine Erwähnung von Mangan in der Aufzählung oder den Unterlagen des Herstellers finden konnten.
Während ein paar der Einträge ein natürliches braunes Eisenoxid in der Formel enthalten, bleibt das Hinzufügen von Phthalo-Grün, Hansagelb oder Chromoxidgrün bei einer Farbe mit einer langen Geschichte als ausschließlich natürliches Eisenoxid problematisch.
Gebrannte Umbra
Echte gebrannte Umbra ist eine kalzinierte Version der natürlichen Umbra. Sie sollte als Einzelpigment mit einem Farbindex von PBr 7 und einer Beschreibung als kalziniertes natürliches manganhaltiges Eisenoxid angegeben sein. Achten Sie auch hier auf die Nennung von „Mangan“ zur Differenzierung von anderen Arten brauner Oxide.
Wie Sie sehen werden, hat keine der Aufzählungen dieses Ideal auch nur annähernd erreicht. Zwei der Einträge nennen Titanweiß, während in den anderen sowohl synthetische organische Pigmente (PY139, PY150) als auch komplexe anorganische Pigmente (PY164, Pbr 25) zu finden sind.
Siena Natur
Die Angabe natürlicher Siena kann je nach Farbton und Quelle variieren, wobei einige Pigmenthersteller sie als PY 43, natürliches hydriertes Eisenoxid angeben, und andere als PBr 7, natürliches Eisenoxid. In beiden Fällen würde sie als Einzelpigment und nicht als Mischung angegeben. Unter keinen Umständen würde eine echte natürliche Siena die im Folgenden rot gekennzeichneten synthetischen Pigmente enthalten.
Gebrannte Siena
Wie natürliche Siena kann auch echte gebrannte Siena auf zwei verschiedene Arten angegeben sein – entweder als PBr 7 oder als PR 102. Der Unterschied liegt wiederum allgemein im Farbton oder in der Art der Klassifizierung durch einen bestimmten Lieferanten. In beiden Fällen würde sie als kalziniertes natürliches Eisenoxid beschrieben. Keines der im Folgenden hervorgehobenen Pigmente würde jedoch jemals in einer gebrannten Siena erwartet.
Gelber Ocker
Diese natürliche Erdfarbe sollte als Einzelpigment, PY 43, natürliches hydriertes Eisenoxid angegeben sein, wie zuvor bei der natürlichen Siena erwähnt. Leider wird das subtilere und transparentere natürliche Pigment häufig durch PY 42 ersetzt, ein synthetisches hydriertes gelbes Oxid, das sehr viel dichter und deckender ist. Zudem gehören die rot gekennzeichneten Pigmente unter keinen Umständen in eine echte Erdfarbe.
Warum Sie das interessieren sollte und was Sie tun können
Die derzeitige Situation bei den Erdfarben kann verwirrend und frustrierend sein und scheint nur noch schlimmer zu werden. Lang etablierte Standards für historisch wichtige Erdfarben werden auf den Kopf gestellt und die Farben durch eine Reihe synthetischer Pigmente ersetzt, die ausnahmslos abweichende Eigenschaften haben. Auch Etikettierungskonventionen werden ignoriert und Bezeichnungen, die einst für bestimmte natürliche Erden reserviert waren, werden stattdessen zu bloßen Verweisen auf den generalisierten Typus eines bräunlichen Farbraums.
Warum also ist das wichtig? Bezüge auf historische Maltechniken, Farbmischungsrezepturen und Materiallisten, die in Kursen verteilt werden und in Kunstbüchern zu finden sind, werden in der Handhabung zu einem Alptraum. Ein Lehrer empfiehlt „Umbra natur“ oder „gebrannte Siena“, und was man einst ganz einfach kaufen konnte, wird zu einem Chaos konkurrierender Auswahlmöglichkeiten, von denen viele nichts mit den tatsächlichen Farben zu tun haben, auf die sich die Bezeichnungen beziehen sollen. Und langsam, Stück für Stück, kann das Vertrauen in Etiketten und Farbbezeichnungen, das über viele Jahrzehnte gewachsen ist, verloren gehen und wir fallen zurück in eine Zeit, in der in Bezug auf die Etikettierung beinahe alles möglich ist.
Und das ist wahrhaftig die größere und langfristigere Gefahr bei der ganzen Angelegenheit. Wir könnten feststellen, dass wir hinsichtlich dieser Art von Normverlust, wenn der Damm erst einmal gebrochen ist, zu bequem werden und denken, „ach, es sind doch nur ein paar Farben, und dazu noch Brauntöne“. Doch wenn wir zulassen, dass diese Bezeichnungen von ihren historischen Identitäten gelöst werden, wird einer Ausweitung auf andere Farben wie Kadmiumrot, Viridiangrün oder Ultramarinblau nichts mehr im Wege stehen.
Was mögliche Maßnahmen betrifft, sind tatsächlich Sie die besten und mächtigsten Fürsprecher für Veränderungen in dieser Angelegenheit. ASTM Normen können beschlossen und gefördert werden, man kann einigen Herstellern die Meinung sagen, doch letztlich ist es an den Künstlern, jene Unternehmen, bei denen sie kaufen, wissen zu lassen, was ihnen wichtig ist. Wenn Ihnen etwas an einer eindeutigen Kennzeichnung liegt und Sie das Gefühl haben, dass der Zugang zu echten Erdfarben wichtig ist, sollten Sie schreiben, telefonieren, E-Mails schicken, Sofortnachrichten verfassen, posten oder bloggen, egal – sagen Sie Herstellern und Händlern irgendwie Bescheid. Und bevor Sie Ihre nächste Erdfarbe kaufen, drehen Sie die Tube um. Überprüfen Sie, welche Pigmente verwendet wurden. Stellen Sie Fragen. Lassen Sie sie wissen, dass Sie die echten Farben wollen.
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